Apotheke aus dem Meer

Seit Jahren durchforsten Pharmakonzerne das Pflanzenreich aller Kontinente auf der Suche nach heilenden Wirkstoffen. Doch nach jahrelanger Ausbeutung kommt der Nachschub ins Stocken. Deshalb wenden sich die Forscher jetzt einer anderen Fundgrube zu: dem Meer. In seinen Tiefen finden sich Stoffe, die heilen.

Die Flora und Fauna der Meere enthält, so haben Wissenschaftler entdeckt, Substanzen, die kleine und größere medizinische Wunder bewirken. Sie können das Tumorwachstum bremsen, Entzündungen hemmen, Viren lahm legen und Schmerzen betäuben. Algen, Schwämme, Korallen, Muscheln, Moostierchen und andere Meeresbewohner sind die kleinen Apotheker.

Aus einem Schwamm zum Beispiel stammt der Wirkstoff Aciclovir, der seit 1995 in einem Medikament den lästigen Lippenherpes stoppt und auch bei der Therapie gegen Gürtelrose hilft. Extrakte der Grünlipp-Muschel werden erfolgreich bei Gelenkentzündung und Arthrose eingesetzt.

Ein weiteres Beispiel: Kegelschnecken. Jede der rund 500 Arten produziert einen anderen Giftcocktail aus bis zu 80 verschiedenen Toxinen, mit dem sie Gegner lähmt und tötet. Jeder einzelne dieser Wirkstoffe könnte wirksam gegen Rheuma, Epilepsie oder Schlaganfall sein, vermuten die Forscher.

Amerikanische Wissenschaftler haben bei Moostierchen, einer speziellen Schwammart, den Wirkstoff Bryostatin entdeckt. Er hemmt beim Menschen das Wachstum von Krebszellen, aktiviert körpereigene Killerzellen und regt die Bildung neuer Blutzellen an. Erste Studien sind angelaufen. Nach Aussagen des nationalen Krebsinstituts der USA handelt es sich um ein vielversprechendes Anti-Krebs-Mittel.

Große Erfolge haben Meeresbiologen der Universität Sevilla erzielt. Sie haben 34 bisher unbekannte Algen und Schwämme entdeckt. Diese sondern zu ihrer Verteidigung Stoffe ab, die beim Menschen entzündungshemmende Wirkung haben. Sie bieten wirksamen Schutz vor Bakterien und Viren.
Ebenfalls bei Schwämmen wurde der Wirkstoff Pseudepterosin gefunden. Er hat ebenfalls entzündungshemmende Wirkung und soll bei Rheuma, Schuppenflechte sowie Asthma helfen.

Bisher untersuchten die Unterwasserforscher nur Lebewesen in bis zu 30 Metern Tiefe - der enorme Wasserdruck erschwerte das Vordringen in größere Tiefen. Jetzt wollen die Forscher mit dem erst kürzlich in Betrieb genommenen Forschungs-U- Boot Johnson Sea Link I bis in 1.000 Meter Tiefe vordringen. Die Wissenschaftler sind sich sicher: Weitere medizinische Sensationen warten nur darauf, entdeckt zu werden.

(aus: Umwelt und Gesundheit smog, Jg. 31, 1- 2003)

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