Hyperaktivität

"Ob der Phillip heute still wohl bei Tische sitzen will?" Als der "Zappelphilipp" des Psychiaters und Autors Heinrich Hoffmann vor mehr als 150 Jahren samt gedeckter Tafel und Stuhl zu Boden fiel, war der Begriff Aufmerksamkeits-Defizit- Syndrom (ADS) oder hyperkinetisches Syndrom (HKS) noch nicht bekannt. Was vor langer Zeit als schlicht "unerzogen und wild" galt, ist heutzutage eine ernst zu nehmende Störung, die bereits etwa zwei bis drei Prozent aller Vorschulkinder haben und damit die häufigste psychische Erkrankung im Kinder- und Jugendalter darstellt.

Auffälligstes Symptom des komplexen Krankheitsbildes ist die Hyperaktivität: Die Kinder sind dauernd in Bewegung. Sie stehen beim Unterricht oder Essen ständig auf, plappern in einem fort, zappeln mit Händen und Füßen - für Eltern oder Lehrer die reinsten Nervensägen. Des Weiteren besteht oft eine Aufmerksamkeitsstörung: Den betroffenen Kindern gelingt es nicht, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren. Sie lassen sich schnell ablenken - sei es bei den Hausaufgaben oder beim Spiel. Das dritte Symptom ist die Impulsivität: Die Kinder reagieren spontan und unüberlegt, fangen schnell Streit mit anderen Kindern an und geraten in bedrohliche Situationen, weil sie Gefahren nicht richtig einschätzen, etwa wenn sie auf einen Baum klettern.

Hinzu kommt: Ein Drittel der "Zappelphilippe" hat eine Lese-Rechtschreib-Störung. Außerdem ist das Zusammenleben mit diesen Kindern schwierig, Lehrer und Mitschüler lehnen sie häufig ab. Dadurch entstehen Selbstwertprobleme, die in depressiven Verstimmungen, aber auch in unkontrollierbaren Wutausbrüchen, Aggressionen oder Ess-Störungen münden können. Trotz erheblicher Schulleistungsprobleme sind diese Kinder aber nicht etwa dümmer als ihre Altersgenossen.

Die genaue Ursache für das "Zappel-Syndrom" ist noch nicht erforscht. Eine Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Jena hat herausgefunden, dass der Stoffwechsel im Gehirn an den Störungen beteiligt ist. Die Forscher stellten fest, dass einige entscheidende Hirnregionen bei den ADS- Patienten durch eine Fehlfunktion der Botenstoffe mangelhaft aktiviert werden, was schließlich in einer gestörten Reizweiterleitung der Aufmerksamkeits- und Bewegungskontrolle mündet. Neue Erkenntnisse zeigen, dass neben den Fehlfunktionen im Gehirnstoffwechsel auch genetische Faktoren einen Rolle spielen.

Leider haben viele dieser Kinder zeitlebens Probleme. Untersuchungen ergaben, dass 45 Prozent der hyperaktiven Kinder zwischen 8 und 18 Jahren Drogen- und Alkoholprobleme haben und eher kriminell werden als ihre gesunden Altersgenossen. Sie erleiden auch häufiger Unfälle und müssen mit innerer Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten und Stimmungsschwankungen kämpfen.

Je früher diese Kinder behandelt werden, desto besser sind ihre Aussichten. Deshalb sollten Eltern, die solche Schwierigkeiten bei ihren Kindern feststellen, rechtzeitig mit ihrem Kinderarzt darüber sprechen. Dieser wird das Kind gegebenenfalls an einen Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie überweisen.

Die Eltern müssen begreifen lernen: Nicht etwa Erziehungsfehler sind an den Problemen ihres Kindes schuld. Für die Therapie aber gilt: Die Eltern sollten ihrem Kind einen strukturierten Erziehungsstil mit klaren Regeln, einem gleichmäßigen Tagesablauf und konsequenten Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen ohne Machtkampf, Diskussionen und Widerrufen von Entscheidungen vorleben. Das Kind muss konsequent Steuerungsmechanismen lernen, um sich zu Hause, in der Schule und beim Spielen besser kontrollieren zu können. Neben Elterntraining und Verhaltenstherapie für die betroffenen Kinder, stützt sich die Therapie heute auf Medikamente aus der Gruppe der Stimulanzien, die der Reizüberflutung entgegen wirken.

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