Bettnässen

Vorurteile und falsche Meinungen

Das äußerst diskriminierende, aber immer noch gebräuchliche Schimpfwort "Bettnässer" zeigt überdeutlich, welche Reaktionen zu erwarten sind, wenn man hierzulande über ein solches Problem offen spricht. "Mit einem Kind, das ins Bett nässt, kann ja wohl nicht alles in Ordnung sein!" ist eine nicht selten geäußerte Ansicht. Und solche Vorurteile betreffen nicht nur das Kind selbst, sondern selbstverständlich auch seine Eltern, die - so hat es zumindest den Anschein - nicht in der Lage sind, ihr Kind richtig zu erziehen.

Es geht aber auch anders: In den USA beispielsweise spricht man viel offener über das Thema Bettnässen. Dort haben sich bereits Selbsthilfegruppen gebildet, in denen Eltern untereinander, aber auch mit Fachleuten diskutieren und Erfahrungen weitergeben können, wie mit dem Problem am besten umzugehen ist. Man hat dort erkannt, dass Bettnässen meistens keine Krankheit ist, dass das Problem viel häufiger vorkommt, als gemeinhin angenommen wird, und dass kein Grund besteht, sich zu schämen oder sich selbst oder gar seinem Kind Vorwürfe zu machen.

Wann ist ein Kind 'trocken'?

Viele Eltern glauben, ihr Kind müsse schon mit drei Jahren trocken sein. Sie setzen sich und ihr Kind damit aber einem unnötigen Erwartungsdruck aus. Kinderärzte gehen davon aus, dass Kinder erst mit fünf oder sechs Jahren lernen, ihre Blase auch nachts wirklich gut zu kontrollieren. Sie empfehlen daher, bis zum siebten Lebensjahr noch nichts zu unternehmen.

Erst wenn ein Kind mit sieben Jahren noch an mindestens zwei Nächten im Monat im Schlaf einnässt, sprechen die Ärzte von einer Enuresis nocturna, das ist der medizinische Fachausdruck für das Bettnässen. Sie unterscheiden weiter zwischen der primären nächtlichen Enuresis und der sekundären nächtlichen Enuresis.

Primäre und sekundäre Enuresis

Die primäre Enuresis ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind seit der Geburt noch nie über längere Zeit trocken war. Gab es aber schon trockene Phasen von mindestens sechs Monaten Dauer, und das Kind nässt danach erneut ein, so spricht man von sekundärer Enuresis. Mit 75 bis 80 Prozent ist die primäre Enuresis die wesentlich häufigere Form des kindlichen Einnässens, deshalb soll hier nur kurz auf das sekundäre nächtliche Einnässen eingegangen werden.

Die Gründe für die sekundäre Enuresis glaubt man bereits ausreichend zu kennen. Hier spielen wohl psychische Ursachen eine Hauptrolle, denn das Wiederauftreten des Bettnässens nach einer langen, mehrmonatigen Trockenphase scheint eng mit plötzlichen und unerwarteten Veränderungen im Leben des Kindes verknüpft zu sein. Besonders oft wird das Phänomen dann beobachtet, wenn ein neues Geschwister in die Familie eintritt, und das ältere Kind dadurch - ob begründet oder nicht - den Eindruck bekommt, nicht mehr die ungeteilte Zuneigung der Eltern zu finden. Aber auch der Verlust eines Familienmitglieds, die Trennung der Eltern oder ein bevorstehender beziehungsweise schon vollzogener Wechsel der Schule oder des Wohnorts können das Kind so verunsichern, dass es wieder mit dem nächtlichen Einnässen beginnt.

Wenn die Eltern erkennen, worauf das Einnässen zurückzuführen ist, und wenn sie dem Kind die entsprechende Unterstützung und Aufmerksamkeit zukommen lassen, wird sich das Problem sehr wahrscheinlich bald wieder von selbst lösen. In schwierigeren Fällen sollte allerdings an die Möglichkeit gedacht werden, einen erfahrenen Kinderpsychologen hinzuzuziehen.

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Mögliche Ursachen

Die Forschung hat zwar in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gemacht, was aber die konkreten Ursachen für das primäre Bettnässen sind, weiß man auch heute noch nicht genau. Vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle, wobei hier den psychischen Ursachen - im Gegensatz zur sekundären Enuresis - eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt.

  • Allgemein anerkannt ist inzwischen, dass es sich bei der primären Enuresis wohl um eine Verzögerung in der Entwicklung des Kindes handelt. Das bedeutet, die Kontrollmechanismen, die die Blasenfunktion steuern, bilden sich bei den betroffenen Kindern langsamer aus. Wie lange das dauert, kann von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Für diese Auffassung spricht, dass sich mit zunehmendem Alter die Zahl der Betroffenen kontinuierlich verringert. Allerdings gibt es Fälle, bei denen das Problem über die Teenagerphase bis ins Erwachsenenalter fortbesteht. So dauert das Bettnässen bei immerhin einem Prozent der Betroffenen über das 18. Lebensjahr hinaus an.
  • Anerkannt ist ebenso, dass die Vererbung von Bedeutung ist. Ein Beleg dafür ist, dass das Bettnässen in manchen Familien gehäuft auftritt. Wenn Betroffene in ihrer direkten Verwandtschaft herumfragen, stellt sich häufig heraus, dass auch Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten in ihrer Kindheit und Jugend Probleme mit dem nächtlichen Einnässen hatten. Wenn nun ein oder gar beide Elternteile in der Kindheit selbst überdurchschnittlich lange gebraucht haben, um trocken zu werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass dieses Phänomen auch bei ihrem Kind in Erscheinung tritt.
  • Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bei vielen der betroffenen Kinder und Jugendlichen die eigentliche Ursache für das Bettnässen ist, dass bei ihnen ein bestimmtes Hormon in zu geringen Mengen vorhanden ist. Dieses Antidiuretische Hormon, abgekürzt ADH oder einfach Vasopressin genannt, wird von der Hypophyse produziert. Mehr Vasopressin bewirkt, dass nachts weniger Harn gebildet wird. Das Hormon hat unter anderem die Aufgabe, den Wasserhaushalt im Körper zu kontrollieren, indem es die Nieren beeinflusst, wie viel Wasser ausgeschieden oder zurückbehalten wird.
  • Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Hypophyse auch Einfluss auf den Tag-Nacht-Rhythmus unserer Harnausscheidung ausübt. Sie fanden heraus, dass die Drüse im Schlaf mehr Vasopressin abgibt als am Tag. Dadurch wird nachts weniger Harn gebildet, und die Blase wird nicht zu voll. Das hat zur Folge, dass man nachts wenig oder gar nicht zur Toilette muss. Weitere Untersuchungen zeigten dann, dass bei vielen der bettnässenden Kinder dieser Tag-Nacht-Rhythmus der Hormonproduktion nicht - oder noch nicht - vollständig ausgeprägt ist, das heißt, im Schlaf produzieren diese Kinder nicht mehr Vasopressin als am Tag. Weiß man das, ist es natürlich nicht mehr verwunderlich, dass das Kind nachts Schwierigkeiten bekommt: Die Blase ist überfüllt.

Viel Geduld ist wichtig

Nichts wäre schlimmer, als wenn die Eltern damit anfangen würden, sich selbst und dem Kind Vorwürfe zu machen. Im Umgang mit bettnässenden Kindern müssen Tadel und Strafe unbedingt vermieden werden. Eine zwangsweise Einschränkung des Flüssigkeitskonsums schon ab dem Nachmittag oder Schlafentzug durch ständiges Wecken sind weitverbreitete Maßnahmen, die jedoch selten den gewünschten Erfolg bringen und von vielen Kindern als Bestrafung angesehen werden. Kein Kind nässt sein Bett absichtlich ein! Die Betroffenen sind im Gegenteil hochmotiviert, das Problem schnell und dauerhaft loszuwerden. Gleichzeitig sind sie aber auch hochsensibel, was das Verhalten der Eltern angeht. Schon das geringste Anzeichen von Enttäuschung bei den Eltern angesichts des nassen Bettes können sie als Strafe empfinden.

Wenn Sie selbst oder ein naher Verwandter in der Kindheit Probleme mit dem Bettnässen hatten, sprechen Sie mit Ihrem Kind offen darüber. Das kann durchaus einen positiven Effekt haben: Allein dieses Wissen kann dem Kind Mut machen, denn es erkennt dadurch, dass es nicht allein mit seinem Problem ist und, dass die Schwierigkeiten lösbar sind, auch wenn dies vielleicht noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Für jede trockene Nacht sollten Sie das Kind außerdem loben. Es gewinnt so an Selbstvertrauen, und die Chancen für eine baldige Lösung des Problems steigen.

Selbstverständlich wird sich eine Besserung nicht von heute auf morgen einstellen. Der wichtigste Faktor dabei ist Geduld, die sowohl die Eltern als auch das Kind aufbringen müssen. Das ist leichter gesagt als getan. Irgendwann erreichen viele Eltern einen Punkt, an dem sie den Eindruck haben, dass ihnen die ganze Sache über den Kopf zu wachsen droht. Was dann? Lassen Sie sich von einem Kinderarzt beraten. Wenn Sie bemerken, dass trotz allen Zuspruchs Ihr Kind mehr und mehr unter dem Bettnässen leidet und auch bei Ihnen der Drang nach einer schnellen Beendigung dieser unerfreulichen Situation stärker wird, dann ist es an der Zeit, fachmännischen Rat zu suchen.

Lassen Sie sich in einem solchen Fall am besten von einem erfahrenen Kinderarzt helfen. Er kann Sie beraten, wie weiter vorzugehen ist und Ihnen darlegen, welche Behandlung er für geeignet erachtet.

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Behandlung der primären Enuresis

Ziel einer Behandlung ist die vollständige und dauerhafte Beseitigung des Bettnässens.

  • Einige Ärzte, vor allem Kinderpsychologen, empfehlen anfangs eine Verhaltenstherapie. Durch intensives Blasentraining sollen die kleinen Patienten lernen, selbst die Kontrolle über ihre Blase zu übernehmen. Darüber hinaus werden die Kinder aufgefordert einen so genannten Miktionskalender zu führen, in den sie sowohl die nassen wie auch die trockenen Nächte regelmäßig eintragen. Das Kind soll so das Gefühl bekommen, selbst für sein Trockenbleiben verantwortlich zu sein. Dazu können auch die Eltern durch positive Anreize beitragen, indem sie zum Beispiel Belohnungen für eine trockene Nacht in Aussicht stellen. Manchmal führen allein schon diese Maßnahmen zum Erfolg.
  • Bei schwierigeren Fällen kommt als Alternative der Einsatz der apparativen Konditionierungsbehandlung in Betracht. Dahinter verbirgt sich ein ganzes Bündel von Einzelmaßnahmen, die im Wesentlichen alle darauf abzielen, das Kind aufzuwecken. Das Bett wird mit einer Klingelmatte ausgestattet oder das Kind muss in der Nacht eine Klingelhose tragen. Beide Alarmgeräte funktionieren dergestalt, dass sie durch einen lauten Ton melden, wenn die ersten Urintropfen abgegeben werden. Das Kind soll auf diese Weise im Moment des Einnässens oder unmittelbar danach geweckt werden. Es soll so lernen, im Schlaf selbst auf die Signale zu achten, die ihm seine Blase meldet, und dann von alleine aufzuwachen. Die Alarmtherapie muss erfahrungsgemäß über mindestens acht bis zehn Wochen durchgeführt werden. Grundsätzlich ist dann die Aussicht recht gut, dass das Kind trocken wird. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass viele Eltern mit der Durchführung dieser Methode Schwierigkeiten haben. Die Rate der vorzeitigen Behandlungsabbrüche ist hoch.
  • Bei der medikamentösen Therapie ist inzwischen die Behandlung mit dem Wirkstoff Desmopressin verbreitet. Diese synthetisch hergestellte Substanz ist dem geschilderten körpereigenen Hormon Vasopressin nachempfunden. Ähnlich wie das Hormon selbst, kann auch Desmopressin die Harnbildung in der Nacht verringern. Der bei vielen bettnässenden Kindern vorhandene Hormonmangel wird so ausgeglichen und normalisiert. Die Wirkung hält etwa acht Stunden an, so dass es kurz vor dem Schlafengehen eingenommen werden sollte. Auf die Harnproduktion am Tag hat es keine negativen Auswirkungen, weil seine Wirkungsdauer begrenzt ist. Das Ergebnis tritt sehr schnell ein, was Desmopressin insbesondere dann empfehlenswert macht, wenn eine rasche Besserung angestrebt wird. Übernachtungen in fremden Betten werden so unproblematisch. Das Kind kann leichter soziale Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen. Außerdem wird sein Selbstbewusstsein gestärkt, wenn es erkennt, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt, trocken zu werden.

Arzneimittel gehören nicht in Kinderhände und die Eltern sollten die Einnahme überwachen. Sie sollten außerdem darauf achten, dass das Kind nach der Einnahme keine großen Flüssigkeitsmengen mehr zu sich nimmt; vor allem müssen koffeinhaltige Getränke vermieden werden, weil sie die Harnproduktion anregen.

Die medikamentöse Therapie sollte in der Regel (Beipackzettel beachten) nicht länger als zwölf Wochen durchgeführt werden. Die Art und Weise, wie das Medikament abgesetzt wird, ist wesentlich für den Erfolg der Behandlung. Es gibt leider hohe Rückfallraten, wenn man die Medikation probeweise frühzeitig abbricht. Die Chancen auf eine langfristige Heilung allerdings sind sehr
hoch, wenn das Medikament nach einem strukturierten Schema langsam über
mehrere Wochen "ausgeschlichen" wird. Für Eltern und Kind bedeutet diese Therapie eine gute Chance, gelassener mit dem Problem Bettnässen umzugehen.

Das Medikament wird als Tablette verabreicht. Die früher üblichen Nasensprays zeigten weitaus häufiger Nebenwirkungen, wie zu wenig Natrium im Blut oder  erhöhtes Flüssigkeitsvolumen aufgrund der geringen Urinausscheidung. Dies wurde besonders bei jüngeren Kindern beobachtet.

Weiterführende Informationen finden Sie auch unter www.initiative-trockene-nacht.de.

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