Warten auf die Corona-Impfung

– und wie sieht der Standard-Impfschutz aus?

Je älter die Menschen sind, desto größer sind im Allgemeinen die Impflücken. Der Anteil der Erwachsenen mit einem ausreichenden Impfschutz gegen Influenza, Tetanus, Diphtherie und Pertussis ist viel zu niedrig. Einen sicheren Impfschutz gegen Diphtherie besitzt z. B. nur etwa die Hälfte der über 30-Jährigen. Gegen Keuchhusten haben nur etwa sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung einen Impfschutz, und jeder dritte Erwachsene ist unzureichend gegen Tetanus geimpft.

Wir haben mit dem Impfexperten Ralph Köllges, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde in Mönchengladbach, über die Impfbereitschaft und oft ungenügenden Impfschutz in der Bevölkerung gesprochen.

DGK: Herr Köllges, wie schätzen Sie die durch die Corona-Pandemie geweckte Interesse für Impfungen ein?

Ralph Köllges: Die Impfbereitschaft gegen Covid-19 schwankt und ist auf einem erfreulicherweise wieder ansteigenden höheren Level. Momentan steht jedoch noch nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung, so dass eine Priorisierung erfolgen muss. Viele Menschen warten nun sehnsüchtig auf die „Impfung aller Impfungen“. Andere wiederum sind wegen der Berichte über Nebenwirkungen besorgt.

Dabei wäre jetzt die Chance da, den in den letzten Jahren vernachlässigten Impfschutz gegen andere Erkrankungen zu komplettieren. Gerade Erwachsene haben in den meisten Fällen einen inkompletten Impfschutz bei den Standardimpfungen wie Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Polio, weil meistens nicht an die notwendigen Auffrischimpfungen gedacht wird. „Aus den Augen aus dem Sinn“, und erst wenn eine Pandemie die Verletzlichkeit der Menschen gegenüber Infektionskrankheiten zeigt, denkt man eventuell über den Impfschutz nach.

DGK: Seit dem Ausbruch der Pandemie ist das Interesse an der „Impfung gegen Lungenentzündung“, wie die meisten es bezeichnen, stark gewachsen. Viele Impfwillige versuchen vergeblich eine Impfdosis zu bekommen. Woran liegt das?

Ralph Köllges: Die Empfehlung, dass sich alle Menschen über 60 Jahre gegen Pneumokokken impfen lassen sollen, gibt es seit dem Jahr 1998. Sie wurde aber über Jahre hinweg nur gering umgesetzt. Erst nach der Empfehlung zur Impfung durch den Bundesgesundheitsminister im März 2020 stellten ca. 12 Millionen Menschen fest, dass sie den Impfschutz aus den Augen verloren hatten. Viele wussten gar nicht über die Möglichkeit dieser Impfung Bescheid. Die Folge: der Run auf den Pneumokokken-Impfschutz ließ sich durch die vorhandenen Impfstoff-Menge nicht decken. Das liegt daran, dass die Impfstoffhersteller ihre Produktion auf die geringe Nachfrage der vergangenen Jahre abgestimmt hatten. Und Impfstoffproduktion ist eine langwierige Sache. Der Impfstoff ist zurzeit noch immer nur eingeschränkt verfügbar, daher wird die Impfung von der Ständigen Impfkommission (STIKO) priorisiert für Menschen ab 70 Jahre und für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen empfohlen, solange nicht genügend Impfstoff vorhanden ist. 

DGK: Wurden durch die Corona-Pandemie nicht andere Erreger verdrängt? Ist es nötig gegen andere Erreger zu Impfen?

Ralph Köllges: Im vergangenen Jahr ist es tatsächlich zum Rückgang der Fallzahlen bei verschiedenen Infektionskrankheiten in Deutschland gekommen (z. B. Masern, Keuchhusten, Meningokokken, Influenza). Die eingeführte AHA+L-Regeln, aber auch das veränderte Verhalten der Bevölkerung bezüglich Arztbesuchen und dadurch weniger gemeldete Infektionserkrankungen könnten der Grund dafür sein. Gleichzeitig sieht man an den Daten anderer europäischer Länder, dass die Menschen auch Impfungen bei Ärzten weniger wahrgenommen haben. Hier besteht die Befürchtung, dass nach Ende der Corona-Pandemie andere Infektionskrankheiten wieder häufiger auftreten werden.

Deshalb ist gerade jetzt wichtig, dass alle Menschen ihren Impfstatus überprüfen und fehlende Impfungen nachholen, und zwar in jedem Alter.

DGK: Welche Auffrischimpfungen sind für Erwachsene nötig?

Ralph Köllges: Die STIKO empfiehlt Erwachsenen (ab 18 Jahre) alle 10 Jahre eine Auffrischung der Impfschutz gegen Tetanus und Diphtherie. Wichtig ist dabei daran zu denken, dass im Erwachsenenalter eine einmalige Auffrischimpfung gegen Keuchhusten und Polio erfolgt. Die Impfung gegen diese Krankheiten wird mit einem Kombinationsimpfstoff gegeben, also nur eine Injektion.

DGK: Gibt es von der STIKO auch für ältere Menschen besonders empfohlene Impfungen, neben der Impfung gegen Pneumokokken?

Ralph Köllges: Ja! Alle ab 60 Jahren sollten sich gegen Gürtelrose impfen lassen und jährlich gegen Influenza. Dafür wird in der künftigen Influenza-Saison ein speziell für ältere Personen entwickelter, hochdosierter Influenza-Impfstoff zur Verfügung stehen. Dieser Impfstoff wird eine bessere Immunantwort bei älteren Menschen hervorrufen können, deren Immunsystem naturgemäß schwächer reagiert.

DGK: Und wenn man einen COVID-19-Impftermin hat, kann man sich zeitnah gegen eine andere Krankheit impfen lassen, macht es keine Probleme? Oder sollte man andere Impfungen verschieben?

Ralph Köllges: Zu anderen Impfungen sollte man einen Abstand von 14 Tagen einhalten. Also 14 Tage vor der COVID-19-Impfung kann man eine andere Impfung bekommen oder 14 Tage nach der COVID-Impfung. Das lässt sich mit den COVID-Impfterminen gut koordinieren.

DGK: Herr Köllges, wir bedanken für das Gespräch und geben unseren Lesern Ihr Motto mit: “Deutschland findet den Impfpass und wartet nicht, sondern impft!“


Erstellt: 31.03.2021

Quellen:

  1. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/47_20.html
  2. https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Lieferengpaesse/Lieferengpaesse_inhalt.html
  3. Bödeker et al.: Impfquoten unter Erwachsenen in Deutschland für die Impfungen gegen saisonale Influenza, Tetanus und Pertussis Bundesgesundheitsblatt, 2015:58, 174-181.
  4. C. Poethko-Müller und R. Schmitz: Impfstatus von Erwachsenen in Deutschland Bundesgesundheitsblatt, 2013:56, 845-857